Lieferketten in der Automobilindustrie: Übersetzung als Qualitätssicherung

Fehlerhafte Übersetzungen sind peinlich. In manchen Branchen sind sie allerdings zusätzlich noch brandgefährlich. In der Automobilindustrie zum Beispiel, denn hier hängt ein höchst kompliziertes, optimiertes Geflecht hunderter Player von perfekter Kommunikation ab. Mangelnde Exaktheit kann hier schwerwiegende Folgen haben.

Was schätzen Sie: Wie viele Teile stecken in einem durchschnittlichen Auto? McKinsey hat vor zwei Jahren nachgezählt und kommt auf rund 20.000 Einzelteile pro Pkw. Noch bemerkenswerter ist aber die folgende Zahl: Glaubt man der Beraterstudie, können global agierende Automobilhersteller Verbindungen zu mehr als 18.000 verschiedenen Zulieferbetrieben haben.

Keine Frage: Im Bereich der Elektromobilität sinken diese Werte deutlich. Elektromotoren sind mechanisch wesentlich simpler, und Komponenten wie Getriebe, Auspuffanlage oder Kupplung entfallen gänzlich. Doch unabhängig von der Antriebsart steht hinter dem Produktionsprozess eines Automobils immer ein riesiges Geflecht von Unternehmen, die in verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Sprachen verankert sind, und die nahtlos und fehlerfrei kommunizieren müssen.

Haufenweise Sollbruchstellen: Die Kommunikationskaskade in der Automobilindustrie

Die Pyramidenform der Automotive-Lieferkette macht die zentrale Bedeutung von fehlerfreier Übersetzung deutlich.

  • Tier-1, die Systemlieferanten, kommunizieren auf höchstem technischem Niveau mit den OEM. Die Dokumente, die hier ausgetauscht werden, umfassen nicht selten Hunderte von Seiten. Darunter sind Entwicklungslastenhefte mit detaillierten Performance-Anforderungen, Validierungs- und Testprotokolle, Produktionsprozess-Freigabeverfahren und natürlich auch Langzeitverträge und Rahmenvereinbarungen.
  • Tier-2, die Komponentenlieferanten, erhalten die technischen Anforderungen, die von den OEM festgelegt werden, über Tier-1 hinweg – und die müssen präzise sein.
  • Tier-3, die Lieferanten von Rohstoffen und Basiskomponenten, haben ebenfalls mit Material- und Qualitätsspezifikationen zu tun. Oft in technischen Datenblättern, die in zahlreiche Sprachen übersetzt werden müssen.

Eine Kommunikationskaskade also, in der das Risiko von Informationsverlust oder Informationsverfälschung ebenso groß ist wie die Verpflichtung zu Transparenz. Es braucht nur einen französischen OEM, der eine technische Anforderung an einen österreichischen Tier-1-Zulieferer kommuniziert, der wiederum mit einem chinesischen Tier-2-Lieferanten arbeitet, und schon sind zwei Übersetzungsschritte involviert. Hier sind einige der typischen Fehlerquellen auf diesem Weg:

Lastenheft und Pflichtenheft: Qualitätssicherung beginnt in der Sprache

Lastenhefte und Pflichtenhefte sind so etwas wie die Herzen der Kommunikation. Sie definieren, was in welcher Form und mit welchen Eigenschaften geliefert werden muss. Und sie setzen den Qualitätsstandard, der das Produkt letztlich ausmacht. Entsprechen Übersetzungen dieser Dokumente nicht dem Standard, sitzt das Unheil gewissermaßen an der Wurzel.

Eine vergleichsweise einfache Übung ist die korrekte Übertragung von Messgrößen oder physikalischen Einheiten. Über Werkstoffbezeichnungen kann man schon eher stolpern – so trägt Vergütungsstahl in Deutschland die Bezeichnung 42CrMo4, ist in Japan aber unter SCM440 bekannt und in den USA unter AISI 4140.

Besonders tricky wird es abseits industrieller Nomenklatur. Ein Klassiker ist die Übersetzung der Modalverben. Die englischen Begriffe „shall“, „should“ und „may“ kann man zwar allesamt mit „sollen“ übersetzen, doch nivelliert man damit ihren unterschiedlichen Grad der Verbindlichkeit. In Lastenheften oder Verträgen kann das der Keim späterer Auseinandersetzungen sein.

Change Management: Qualitätsmanagement unter Zeitdruck

Die wenigsten Automodelle bleiben über ihren gesamten Produktlebenszyklus unverändert. Die Norm ist das Gegenteil: Es kommt zu Designänderungen, Qualitätsverbesserungen, Materialsubstitution bei einem Bauteil – manchmal ändert sich einfach nur ein Farbton. Technische Änderungen werden innerhalb der Lieferkette über Engineering Change Orders oder -Notifications weitergegeben.

ECO und ECN müssen nicht nur absolut präzise kommuniziert werden, sie sind auch zeitkritisch. Sobald ein OEM eine ECO ausgibt, werden sämtliche involvierten Zulieferer weltweit zeitgleich darüber informiert. Schon wenige Tage Verzögerung können dazu führen, dass ein Unternehmen Teile oder Komponenten nach unaktuellen Spezifikationen fertigt, was wiederum enorme Schäden hinterlassen kann.

Zudem ist entscheidend, ECO mit unverwechselbaren Versionsnummern, Gültigkeitsdaten und Revisionsnummern zu versehen. Diese Metadaten müssen in sämtlichen Sprachen konsistent sein. ECO sind also ein klassisches Einsatzgebiet für Termdatenbanken und Translation-Memory-Systeme.

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Qualitätssicherung in der Automobilindustrie: Automotive verlangt nach Präzision

OEM binden ihre Supply Chain in ein enges Korsett an Vereinbarungen zur Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle. Diese rechtlich bindenden Quality Assurance Agreements (QAA) werden üblicherweise in mehreren Sprachen ausgefertigt. Zwar ist meist festgelegt, welche Sprachversion im Konfliktfall maßgeblich ist, doch sollten natürlich sämtliche Versionen sowohl juristisch als auch technisch korrekt sein.

Wie in allen Übersetzungen juristischer Texte steckt auch bei QAA der Teufel oft im Detail. Es ist eben nicht egal, ob man „warranty“ mit „Garantie“ oder mit „Gewährleistung“ übersetzt. Die Qualität von Übersetzungen kann hier entscheidend sein.

Die globalen Lieferketten in der Automobilindustrie verlangen im Grunde permanent nach sprachlicher Exaktheit und entsprechender Übersetzung. Das gilt auch für Audits, Assessments, technische Zeichnungen, Mess- und Prüfberichte, Konformitätserklärungen und vieles mehr. Doch daneben gibt es auch die kulturelle Komponente. Und die kann es in sich haben.

Und was hat die Automobilbranche mit sprachlicher Kultur zu tun?

Die Autoindustrie mag noch so strikten Regeln folgen, letztlich sind es aber doch Menschen, die miteinander agieren. Übersetzungen, die auf kulturelle Eigenheiten keine Rücksicht nehmen, können hier genauso schädlich sein wie inhaltliche Übersetzungsfehler.

Besonders deutlich werden diese Unterschiede, sobald man die deutsche Art der Kommunikation mit asiatischen Usancen vergleicht. OEM, die asiatischen Zulieferern mit allzu deutlichen Worten klarmachen, dass sie mit bestimmten Bauteilen unzufrieden sind und rasche Korrektur erwarten, laufen Gefahr, das Gegenüber persönlich zu beleidigen. Was als dringlicher Hinweis gemeint ist, kann am anderen Ende als Vorbote der Beendigung der Geschäftsbeziehung verstanden werden.

Das funktioniert natürlich auch in die Gegenrichtung: Versprechen chinesische Partner, angesichts einer geänderten Timeline „ihr Bestes zu versuchen“, klingt dies in europäischen Ohren nach „Das schaffen wir“. Möglicherweise ist aber gemeint: „Das ist wahrscheinlich nicht machbar, aber wir möchten Sie nicht direkt enttäuschen.“

Ähnliche Fallstricke lauern aber auch in Kulturen, die uns näher erscheinen. Selbst Italiener und Skandinavier kommunizieren deutlich unterschiedlich.

Für Übersetzungsbüros ist die Automotive-Industrie mit ihrer zur Spitze getriebenen Effizienz definitiv ein ausgesprochen spannendes und auch lohnendes Feld. Allerdings nur, wenn sie mehrere Erwartungen erfüllen können: neben exzellenten Sprachkenntnissen auch tiefes und jederzeit aktuelles Wissen über die Technologien, Kenntnis der Branchen-Usancen und politischen Komponenten – und ein gutes Gespür für kulturelle Eigenheiten.

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