Wenn der Ton das Wort macht: Tonsprachen und ihre Tücken

Lea Valder
Customer Success Management

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Sie wollen Chinesisch lernen? Dann sollten Sie auch musikalisch sein: Die stimmliche Modulation der Vokale kann, wie in allen Tonsprachen, die Bedeutung eines Begriffs verändern oder sogar in sein Gegenteil verkehren. Die Missverständnisse, die dadurch entstehen, sind meist lustig – sie können aber auch unangenehme Folgen haben.

Unter Chinesisch-Lehrer:innen ist der Satz ein absoluter Klassiker: „Darf ich Sie etwas fragen?“ Falsch ausgesprochen, führt die höfliche Kontaktaufnahme nämlich zu einer äußerst peinlichen Situation – man hat das Gegenüber soeben um einen Kuss gebeten. Während die Schriftzeichen für „fragen“ und „küssen“ eindeutig unterscheidbar sind, geht es bei der Aussprache des Verbs „wen“ um ein Detail, das schon vielen Chinesisch-Schüler:innen den Schlaf geraubt hat: um die richtige Modulation des Vokals. Genau: wir sind im spannenden Reich der Tonsprachen oder tonalen Sprachen.

Durchschnittlich sind zwei von drei Sprachen tonal

Für Menschen, die etwa mit Deutsch oder Englisch als Muttersprache aufgewachsen sind, ist das Konzept der tonalen Sprachen vollkommen ungewohnt. Tatsächlich aber gelten zwei Drittel der weltweit rund 7.000 Sprachen als Tonsprache. Die meisten dieser tonalen Sprachen werden in Asien und in Afrika gesprochen, darunter Mandarin Vietnamesisch, Thai oder Zulu. Und auch Europa kennt Tonsprachen. Norwegisch, Kroatisch und Litauisch beinhalten tonale Elemente, wenngleich in deutlich geringerem Ausmaß.

Die Übung macht den Ton

Wer eine Tonsprache erlernt, ist also nicht nur mit Vokabeln, Grammatik und einer meist ungewohnten Schrift konfrontiert, auf ihn oder sie kommen auch die berüchtigten Ton-Übungsreihen zu. Im Chinesischen gilt es vier unterschiedliche Töne zu erlernen, die sich hinsichtlich der Tonhöhe, deren Verlauf, Dauer und Intensität unterscheiden. Der erste Ton zum Beispiel wird im Chinesischen in gleichbleibend hoher Stimmlage und gleichbleibender Intensität ausgesprochen. Der zweite Ton steigt von mittlerer bis hoher Tonhöhe an, dauert eine Spur kürzer als der erste Ton und hat zunehmende Intensität. Hinzu kommen ein fallend-steigender und ein fallender Ton sowie ein kurzer, neutraler Ton von geringer Intensität. Das Hochchinesische ist dabei keineswegs Rekordhalter unter den Tonsprachen: In der ostasiatischen Sprachgruppe der Hmong werden sogar acht oder mehr Intonationen unterschieden.

Tonsprachen-Missverständnisse: Wenn die Mutter das Pferd beschimpft

Die Missverständnisse, die Neulinge in einer Tonsprache erzeugen, sind in den meisten Fällen eher skurriler Natur, da die unterschiedlichen Aussprachen Begriffe völlig verschiedener Bedeutung ergeben. Die im Chinesisch-Unterricht gerne eingesetzte Silbenreihe „Māma mà mǎ ma?“ etwa bedeutet (wenn sie richtig intoniert wird) „Beschimpft die Mutter das Pferd?“ Im Alltag kann zudem eine gewisse Entwarnung gegeben werden: Chines:innen sind daran gewöhnt, dass ihre Sprache für Lernende hohe Hürden bereithält – und interpretieren falsch intonierte Begriffe anhand des Kontexts dennoch korrekt. Schwierig wird es, wenn der Kontext Begriffspaare nicht eindeutig trennt. „Kaufen“ und „verkaufen“ zum Beispiel sind im Chinesischen nur durch Intonation zu unterscheiden. Ein starkes Argument dafür, etwa im geschäftlichen Kontakt unbedingt Profi-Dolmetscher:innen einzusetzen.

It’s the Climate, Stupid

In europäischen Ohren klingen Tonsprachen nicht nur exotisch, sondern vor allem sehr melodiös. Vice versa empfinden etwa Chines:innen Sprachen wie Deutsch als ausgesprochen „unmusikalisch“ – was sie beim Erlernen vor ähnliche Probleme stellt wie Europäer:innen im Chinesisch-Unterricht. Warum aber haben sich Sprachen so grundlegend unterschiedlich entwickelt?

Eine spannende Theorie könnte darauf eine Antwort liefern. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass es eine Frage des Klimas ist, ob sich Tonsprachen entwickeln können: Die vergleichsweise trockene Luft Europas hat demnach negativen Einfluss auf die Modulationsfähigkeit der menschlichen Stimmlippen. In den feuchteren Klimazonen hingegen wird der Stimmapparat gewissermaßen geölt und damit zu vielfältiger Intonation befähigt. Wer als Deutsch Sprechende:r im China-Urlaub auf die Monotonie seiner Sprache hingewiesen wird, kann also mit Fug und Recht antworten: „It’s the Climate, Stupid“. Dies höflicher und vor allem in Landessprache zu formulieren, das ist dann die wirklich hohe Kunst. Fragen Sie am besten jemanden, der des Chinesischen wirklich mächtig ist.

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